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IPG-Kolumne zu Mali-Engagement: "Gefährlicher als Syrien?"

14.12.2015

In meiner neuen Kolumne für das IPG-Journal, die am 14. Dezember erschienen ist, erläutere ich das Gesamtkonzept unseres Engagements in Mali. Die Entscheidung der Bundesregierung, im Rahmen des MINUSMA-Mandates deutlich mehr Soldatinnen und Soldaten zu entsenden, zielt darauf ab, die Sicherheit in Mali zu gewährleisten und somit die erforderliche Zeit zu erkaufen, die für einen politischen Prozess und nachhaltige Stabilität in der Region gebraucht wird.

Gefährlicher als Syrien?
Möglicherweise. Warum unser Engagement in Mali dennoch sinnvoll ist.


Nach dem Sturz Gaddafis und dem einsetzenden Staatsverfall Libyens gelangten Waffen und ehemalige Söldner ungehindert über die Grenze nach Süden. Dieser Umstand trug maßgeblich mit dazu bei, dass sich im Norden Malis 2012 eine Tuareg-gestützte Aufstandsbewegung (MLNA) formieren konnte. Zeitgleich kam es in der Hauptstadt Bamako zu einer politischen Krise. Demonstrierende Soldaten setzten am 21. März 2012 Präsident Amadou Toumani Touré ab, dem die Putschisten vorwarfen, nicht in der Lage zu sein, die Rebellen im Norden wirksam zu bekämpfen, was die Sicherheitskrise im Norden noch verstärkte.

Nachdem die MLNA zunächst eng mit islamistischen Gruppierungen wie Ansar Dine zusammenarbeitete und in rasanter Geschwindigkeit den Norden des Landes weitestgehend einnehmen konnte, zerbrach das fragile Bündnis zwischen Islamisten und MLNA, woraufhin Ansar Dine die Oberhand gewann und kurz davor stand, die Hauptstadt Bamako einzunehmen. Durch das Eingreifen Frankreichs unter Bezug auf die UN-Resolution 2085 und mit Unterstützung der westafrikanischen Staatengemeinschaft (ECOWAS) im Januar 2013 konnte ein weiterer Vormarsch von Ansar Dine gestoppt und bis dahin besetztes Territorium und Städte wie Timbuktu und Gao zurückerobert werden.

Um die Lage im Land wieder zu stabilisieren wurden verschiedene internationale Missionen ins Leben gerufen:

Seit April 2013 sorgt MINUSMA für die Aufrechterhaltung der Sicherheitslage. Sie wurde bereits kurz nach ihrer Gründung von der Bundeswehr bis 2014 logistisch unterstützt. Bislang waren nur ca. zehn deutsche Soldatinnen und Soldaten in Stäben der MINUSMA aktiv, auch wenn das entsprechende Mandat die Stationierung von bis zu 150 Soldatinnen und Soldaten vorsieht. Grundlage hierfür sind die UN-Resolutionen 2100 und 2164.

Neben dieser Stabilisierungsmission betreibt die EU eine eigene Trainingsmission in Mali, die EUTM Mali, auf Grundlage der UN-Resolution 2071. Durch diese Mission, die derzeit unter deutscher Führung steht, sollen die malischen Streitkräfte langfristig in die Lage versetzt werden, die notwendige Sicherheit im Staat zu gewährleisten. Die EUTM wurde schon ein Jahr vor der Eskalation im Norden Malis gegründet. Der Beinahezerfall der malischen Zentralregierung und die großen militärischen Gewinne der verschiedenen Rebellengruppen haben die Notwendigkeit dieser Ausbildungsmission klar vor Augen geführt. Denn nur gut ausgebildete, motivierte Sicherheitskräfte können auf Dauer die Stabilität des Staates sichern. Im Rahmen dieser Trainingsmission können laut Mandat bis zu 350 deutsche Soldaten und Soldatinnen eingesetzt werden.

Daneben gibt es mit EUCAP Sahel Mali eine zweite – nicht-militärische – Mission im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Sie soll der Polizei, Gendarmerie und Nationalgarde die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten vermitteln und diese damit in die Lage versetzen, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Auch hieran ist Deutschland maßgeblich beteiligt.

Die drei Missionen sind in einen politischen Prozess eingebettet, der auf internationalen Druck hin in Gang gesetzt wurde, und der dazu führte, dass im April 2014 mit Ibrahim Keïta ein neuer Präsident gewählt werden konnte, der bereits in den neunziger Jahren Premierminister seines Landes war.

Ein wesentlicher Bestandteil des politischen Prozesses ist eine Friedensvereinbarung aus dem Juni 2015, die von der malischen Regierung und verschiedenen Rebellenmilizen unterzeichnet wurde. Hierin sind verschiedene Reformen vorgesehen, die der Stabilisierung helfen sollen. So soll dem Norden weitgehende Autonomie eingeräumt und ein föderales System mit einem Senat als zweite Parlamentskammer etabliert werden. Im Gegenzug wird die territoriale Integrität Malis von den Aufständischen anerkannt. Da allerdings nicht alle Rebellengruppen diesem Vertrag zugestimmt haben, kommt es immer noch zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Die Reorganisation wird sich auch in Wahlen bewähren müssen. Die ursprünglich für den Herbst 2015 angesetzten Regionalwahlen in der Provinz Kidal mussten auf Grund der angespannten Sicherheitslage verschoben werden. Die islamistisch-terroristischen Gruppierungen besitzen zwar kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung, allerdings ist die Sicherheitslage weiterhin volatil. Der Anschlag auf das Radisson Blu Hotel und der Angriff auf einen UN-Stützpunkt in Kidal im Norden des Landes rund eine Woche später zeigen, dass die Gefahr noch längst nicht gebannt ist. Gleichzeitig ist die Situation im Norden weiterhin angespannt. Das größte Sicherheitsproblem dürfte dort mittlerweile die gewaltbereite organisierte Kriminalität sein.

Die malische Armee soll ebenfalls neu organisiert werden und um einige ehemalige Milizen ergänzt werden. Als Zeichen der Kooperation wurden zudem Strafbefehle gegen Aufständische teilweise aufgehoben. Das Justizwesen soll ebenfalls reformiert und ein Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozess eingeleitet werden. Gerade hier kann Deutschland durch die eigenen Erfahrungen ein hilfreicher und vertrauenerweckender Partner sein.
Neben diesen zweifellos wichtigen institutionellen Reformen muss dringend auch ein wirtschaftlicher Aufschwung erreicht werden. Mali ist ein Land mit großem landwirtschaftlichem Potential, das bislang allerdings kaum ausgeschöpft wird. Für die Armutsbekämpfung muss nicht nur die Agrarproduktion gesteigert werden, sondern auch der Bildungssektor reformiert, die Grundsätze von good governance implementiert und die Korruption – auch durch eine Konditionierung der Hilfsgelder – wirksam eingedämmt werden.

In dieser Situation ist es wichtig, dass Europa und die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS Mali weiterhin auf seinem Weg unterstützen und die dafür nötige Sicherheit aufrechterhalten. Mali jetzt im Stich zu lassen, hieße, die bisherigen Erfolge aufs Spiel zu setzen.

Darüber hinaus engagiert Deutschland sich auch in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe in Mali. Bis zu 130 Millionen Euro zahlt die Bundesregierung nach Mali, um sie dort in verschiedene Projekte zu investieren, und ist damit der größte Geldgeber. Gerade in Mali, wo die Hälfte der Bevölkerung in extremer Armut lebt und zwei Drittel der Einwohner Analphabeten sind, die mitunter auch in den Sicherheitskräften arbeiten, muss in die Zukunft des Landes und in die Bildung investiert werden. Dies wird auf Dauer auch zu mehr Stabilität führen. Auch wenn Mali in den letzten zwei Jahren wirtschaftlich wieder aufgeholt hat, herrscht im Norden weiterhin hohe Arbeitslosigkeit, so dass Drogengeschäfte und Kriminalität dort blühen und viele junge Männer sich Aufständischen anschließen.

Die Absicht der Bundesregierung, bis zu 650 Soldaten und Soldatinnen nach Mali im MINUSMA-Rahmen zu entsenden, ist also Teil eines Gesamtkonzeptes, das darauf abzielt, die Sicherheit in Mali zu gewährleisten und somit die erforderliche Zeit zu kaufen, die für den politischen Prozess und für nachhaltige Stabilität gebraucht wird. Dass Europa hieran Interesse haben muss, zeigen die Erfahrungen mit anderen failed states wie Libyen oder insbesondere Syrien, dessen Staatszerfall sich mittlerweile auch direkt auf uns auswirkt. Mit dem Einsatz der Bundeswehr sollen zudem die Niederlande – mittelbar auch Frankreich – entlastet werden. Angedacht ist derzeit, dass Deutschland sich mit Aufklärungskräften an der Mission beteiligt. Daneben sollen eine Objektschutzeinheit zur Sicherung des Feldlagers und die benötigten Einsatzunterstützungselemente nach Mali verlegt werden. Mit der Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten wird somit auch in Mali ein wichtiges politisches Zeichen gesetzt, dass wir zu unseren europäischen Partnern und zu unserer Verantwortung stehen.

Wir dürfen uns bei diesem Einsatz nicht täuschen: Er ist nicht ohne Risiko. Und möglicherweise gefährlicher als der Aufklärungseinsatz deutscher Tornados im Kampf gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ in Syrien.

Die Tatsache, dass die internationale Gemeinschaft in Mali nicht weggeschaut, sondern schnell gehandelt hat, hat aber überhaupt erst die Chance auf eine politische Lösung des Konflikts eröffnet. Um diese jetzt auch nachdrücklich unterstützen zu können, sind neben einer stabilen Sicherheitslage politische, administrative und wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine enge internationale Koordination erforderlich. Ebenso müssen politische, zivilgesellschaftliche und wirtschaftliche Ansprechpartner vor Ort weiterhin eingebunden werden. Ein solch umfassender Ansatz, zu dem eben auch das militärische Engagement zählt, ist die beste Möglichkeit, dauerhafte Stabilität und nachhaltige Entwicklung in Mali zu ermöglichen.