In meiner aktuellen Kolumne für das ipg-Journal, die am 25. Januar erschienen ist, habe ich mich mit dem Staatsumbau in Polen und den internationalen Reaktionen auseinandergesetzt:
Abrücken von europäischen Grundwerten kann für Polen nicht ohne Konsequenzen bleiben. Kritik bedeutet aber kein Infragestellen der Freundschaft.
Der Sieg der polnischen Rechten bei den letzten Wahlen hat die tiefe Krise der Europäischen Union noch weiter verschärft. Der klare Sieg der nationalkonservativen Partei PiS („Recht und Gerechtigkeit“) und die Tatsache, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Landes seit 1989 keine linke Partei mehr im Parlament vertreten ist, ließen den bereits erwarteten Rechtsruck noch deutlicher ausfallen. Der Triumph der Europaskeptiker weckte bereits am Wahlabend Befürchtungen, dass sich Polen auf einen ähnlichen Weg wie Ungarn begeben würde.
Diese Befürchtungen haben sich leider bestätigt. Hatte sich die PiS im Wahlkampf noch betont gemäßigt gegeben, zeigte die neue Regierung unter Ministerpräsidentin Szydlo nun ihr wahres Gesicht. Innerhalb kürzester Zeit wurden das Verfassungsgericht erheblich geschwächt, die öffentlich-rechtlichen Medien in ihren Rechten beschnitten und die Befugnisse der Geheimdienste ausgeweitet. Beobachter der polnischen Politik, vor allem aber die Polen selber reagierten bestürzt auf die handstreichartigen Entscheidungen ihrer neuen Regierung. Viele Wählerinnen und Wähler fühlten sich betrogen und trugen ihren Protest auf die Straße. Aber auch in Europa wird nun eine hitzige Debatte über den angemessenen Umgang mit den Ereignissen in Polen geführt.
In Deutschland herrscht Einigkeit darüber, dass das Vorgehen der polnischen Regierung Anlass zu großer Sorge gibt. Aber sollte offene Kritik geäußert werden, auch auf die Gefahr hin, Kaczyński und seine PiS zu reizen und gleichzeitig die polnische Bevölkerung gegen Europa aufzubringen?
Kritik muss unter EU-Mitgliedstaaten erlaubt sein, wenn die Grundwerte, zu denen sich alle freiwillig verpflichtet haben, von einer Regierung so konsequent und radikal in Frage gestellt und eingeschränkt werden. Aber natürlich kommt es auf den Ton an. Unsere Kritik sollte angemessen formuliert sein, auf Augenhöhe stattfinden und nicht bevormunden. Es gilt, darauf zu achten, dass sie sich deutlich gegen die Politik der Regierung richtet und nicht gegen die Bevölkerung des betroffenen Landes. Zudem sollte die Wirkung der Kritik in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten nicht unterschätzt werden. An einem Schüren antipolnischer Ressentiments kann niemand Interesse haben.
Dennoch: Ein so offensichtlicher Bruch der polnischen Verfassung sowie der Regeln und Grundwerte der Europäischen Union muss auch als solcher bezeichnet werden. Es ist deshalb konsequent, dass die EU jetzt zum ersten Mal ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit auf der Grundlage des 2014 eingeführten „EU-Rahmens zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ eingeleitet hat. Dieses niedrigschwellige Verfahren hat zum Ziel, mögliche Gefährdungen der Grundwerte im Dialog zwischen Kommission und betroffenem Mitgliedstaat auszuräumen. Erst am Ende des dreistufigen Prozesses stünde die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 7 des EU-Vertrages. Der vielfach vorgetragene Vorwurf, dass es sich dabei um ein stumpfes Schwert handele, ist nicht von der Hand zu weisen. Nichtsdestoweniger ist die Einleitung des Verfahrens aber ein klares politisches Signal jenseits von kritischen Äußerungen einzelner Personen oder Institutionen.
Macht die Szydlo-Regierung, angetrieben durch den PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński, so weiter wie bisher, dann wird die Demokratie in Polen systematisch ausgehöhlt. Dies erinnert an das Vorgehen von Viktor Orbán in Ungarn, der die Errichtung einer „illiberalen Demokratie“ als Ziel seines Staatsumbaus bezeichnete. Mit Kritik alleine lässt sich ein solch eindeutiges Streben nach uneingeschränkter Macht ohne Rücksicht auf die Demokratie nicht abstellen. Unsere Kritik an der polnischen Regierung sollte daher immer einhergehen mit klaren Gesprächsangeboten. Ziel muss es sein, den Dialog – sowohl mit der Regierung und Parlamentariern als auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft – aufrecht zu erhalten oder wo nötig neu zu beleben. Unsere Bereitschaft dazu besteht, auch wenn sich die PiS zurzeit einem Austausch über die Grundwerte in Europa verweigert und lieber auf gezielte Provokationen setzt. Es würde der polnischen Regierung in die Hände spielen, wenn sich tatsächlich Anlass zum Vorwurf böte, dass Deutschland Polen von oben herab belehrt. Die derzeitige Vertrauenskrise im deutsch-polnischen Verhältnis kann nur durch konstruktiven Dialog aufgehalten werden.
Auf eben diesen Dialog setzen Opposition und Zivilgesellschaft in Polen. Denn trotz des deutlichen Wahlsieges vertritt die PiS beileibe nicht die Ansichten der Mehrheit der polnischen Bevölkerung. So konnte sie eine absolute Mehrheit im Sejm mit 37,6 Prozent der Stimmen und einer Wahlbeteiligung von lediglich 51,6 Prozent erringen. Zudem sind die Umfragewerte der PiS bereits kurz nach der Wahl gesunken, als durch die ersten Maßnahmen deutlich wurde, welches Ziel die neue Regierung verfolgt. Es gibt in Polen eine starke Zivilgesellschaft und wir sollten das Vertrauen in sie nicht verlieren. Seit Wochen demonstrieren Zehntausende immer wieder gegen die sogenannten Reformen. Wenn die polnische Regierung berechtigte Kritik aus Europa also als Einmischung in innerpolnische Angelegenheiten diffamiert, ignoriert sie dabei völlig die Protestbewegung im eigenen Land, die genau dieses Einmischen vonseiten Deutschlands und Europas fordert. In der europäischen Kulturhauptstadt Wrocław (Breslau) zeigt sich gerade das andere Polen – progressiv, offen, europäisch und nicht patriotisch und historisierend, wie die Kulturförderung nach den Plänen der Regierung zukünftig erfolgen soll. So stellte der Bürgermeister von Wrocław fest, dass Europa die Zukunft Polens sei und man diese Botschaft nach Europa senden wolle.
Kritik an undemokratischen Tendenzen in Europa darf dabei nicht entlang von Parteigrenzen geübt werden, wenn sie glaubwürdig bleiben soll. Es ist daher schon bemerkenswert, wie unterschiedlich sich die Unionsparteien in der gegenwärtigen Debatte verhalten. Während Polen auch aus den Reihen der Union kritisiert wird, haben CDU und CSU bei den mindestens ebenso kritikwürdigen Reformen in Ungarn vielsagend geschwiegen. Da die PiS zu den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) gehört, zu denen u.a. auch die AfD zählt, scheint es der CDU/CSU deutlich leichter zu fallen, die nötige Kritik zu äußern als bei der ungarischen Fidesz unter ihrem Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Orbán, die wie die CDU/CSU Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Aus politischem Kalkül bei einem Land zu schweigen, während man das andere kritisiert, entwertet berechtigte Kritik. Wenn es, wie bei der aktuellen Debatte um die grundsätzliche Einstellung der Mitgliedstaaten zu den europäischen Grundwerten geht, sollten wir nicht mit zweierlei Maß messen.
Gerade angesichts der aktuellen Verfasstheit der EU scheint es mir eine gute Idee zu sein, dass im 25. Jahr des Weimarer Dreiecks dieses Format neu belebt werden soll. Die Regierung in Polen erwartet, insbesondere von Deutschland und Frankreich auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden, was angesichts der beeindruckenden Aufbauleistung Polens nur allzu berechtigt ist. Doch bisher wird Ministerpräsidentin Szydlo ihrer Verantwortung nicht gerecht, zu sehr lässt sie sich ihre Politik von einem paranoiden Parteichef diktieren. Europa braucht Polen und ist zum Dialog bereit. Allerdings sollte sich die polnische Regierung auch dessen bewusst sein, dass Polen auch Europa braucht. So hat Deutschland nicht gezögert, auf die polnischen Sicherheitsinteressen einzugehen und als Reaktion auf die Annexion der Krim durch Russland seine Präsenz in der NATO zu stärken und die Führung bei den sogenannten Rückversicherungsmaßnahmen des Bündnisses zu übernehmen, was keine Selbstverständlichkeit war. Auch das unermüdliche Engagement des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder für den Beitritt zur EU scheint die neue Regierung in Warschau in ihrer von Ressentiments gegenüber Deutschland geprägten Politik vergessen zu haben. Nach der Rede von Ministerpräsidentin Szydlo vor dem Europäischen Parlament jubelte Außenminister Waszczykowski: „Während der Debatte wurde eine neue europäische Führerin geboren.“ Setzt die Ministerpräsidentin ihre Politik fort, dann wird sie weder als eine polnische, noch als eine europäische Führerin in die Geschichte eingehen.
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