-- es gilt das gesprochene Wort --
Heute vor 70 Jahren wurde in der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verkündet. Am 10. Dezember 1948 – drei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges – konnte die Weltgemeinschaft sich zu einem Kraftakt durchringen, der auch heute noch bemerkenswert ist. Erschüttert durch die Schrecken des Krieges und des Holocausts beschworen die Autorinnen und Autoren der Erklärung die unveräußerlichen Rechte eines jeden einzelnen Menschen. Ein hehrer Moment für die Welt.
Den heutigen 10. Dezember, meine Damen und Herren, sollten wir daher feiern wie einen runden Geburtstag. Mit ihren 30 Artikeln zu allen grundlegenden Menschenrechten ist die Allgemeine Erklärung bis zum heutigen Tag so etwas wie ein „Goldstandard“ des internationalen Rechts.
Trotzdem ist uns heute nicht nur zum Feiern zumute, denn wir sehen allzu deutlich: Die Menschenrechte werden weder weltweit geachtet noch ist ihre individuelle Geltung überall selbstverständlich. Gerade deshalb müssen sie immer wieder neu erklärt und erkämpft werden. Mit Sorge sehen wir, dass einige Länder diese Errungenschaft zunehmend in Frage stellen oder sie unter fragwürdigen Berufungen auf kulturelle Unterschiede relativieren wollen.
Meine Damen und Herren,
Viele beschwören den Schutz der Menschenrechte; aber nur sehr wenige handeln auch danach und setzen für die Einhaltung von Menschenrechten sogar ihr Leben aufs Spiel.
Aber Sie, lieber Herr al-Bunni, gehören zu genau diesen herausragenden und mutigen Menschen. Ihnen und Ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern gebühren unser Dank und unser Respekt.
Sie sind bereit, für Ihre tiefsten Überzeugungen einen hohen Preis zu zahlen: Sie haben als Menschenrechtsanwalt in Syrien unvorstellbare Grausamkeiten gesehen und erlebt. Sie haben Menschen und Freunde leiden und sterben sehen, Sie waren Ihrer Freiheit beraubt und nur allzu oft in Angst um Ihr eigenes Leben und um das Ihrer Familie.
Trotz all dieser Risiken haben Sie Ihr Leben einem Ziel gewidmet: dem Kampf gegen die Straflosigkeit und für die juristische Aufarbeitung der systematischen Menschenrechtsverletzungen, die in syrischen Gefängnissen seit Jahrzehnten begangen werden.
Wir haben eben von der Menschenrechtserklärung als Goldstandard gesprochen. Damit kennen Sie sich, lieber Herr al-Bunni, auf einem ganz anderen Gebiet gut aus. Neben Ihrer juristischen Expertise beherrschen Sie eine Technik, die unendlich viel Geduld, Fingerspitzengefühl und Liebe zum Detail bedarf: die der Goldschmiedekunst. Diese Eigenschaften scheinen Sie auch in Ihrem Kampf um Gerechtigkeit anzutreiben. Denn Sie führen ihn unermüdlich.
Bis heute sitzen zehntausende Menschen in Gefängnissen des syrischen Regimes, von tausenden Inhaftierten gibt es seit Jahren kein Lebenszeichen. Sie hinterlassen eine Leere, die kaum zu ertragen ist.
Die Berichte der Überlebenden lassen erahnen, was Menschen in syrischen Kerkern erleiden müssen. Dass es bis heute nicht gelungen ist, dieser systematischen Unmenschlichkeit ein Ende zu bereiten, ist beschämend und wirft einen dunklen Schatten auf die internationale Gemeinschaft.
Wir ehren Sie heute als eine Person, die eine große Botschaft verkörpert – nämlich dass die Gerechtigkeit niemanden vergisst. Weder diejenigen, die foltern und töten, aber vor allem nicht die zahlreichen Opfer und ihre Angehörigen.
In Syrien haben Sie sich über Jahre für politische Veränderungen in Ihrem Land eingesetzt. Als viele ihre Meinung sogar nur hinter vorgehaltener Hand zu flüstern wagten, da verteidigten Sie politisch Verfolgte vor syrischen Staatssicherheitsgerichten. Als zur Jahrtausendwende viele auf Reformen hofften, beließen Sie es nicht bei der Hoffnung auf Veränderung, sondern forderten Reformen offen ein. Sie gründeten mit anderen prominenten Anwältinnen und Anwälten eine der ersten Menschenrechtsorganisationen in Syrien.
Als Sie mit anderen Gleichgesinnten im Zuge der libanesischen Zedernrevolution eine Verbesserung der Beziehung zwischen Syrien und Libanon forderten, wurden Sie dafür zu fünf Jahren Haft verurteilt. Von einem Regime, das nichts so sehr fürchtet, wie Reformen und Freiheit.
Nach Ihrer Freilassung im Jahr 2011 setzten Sie trotz aller Gefahren Ihre Arbeit in Syrien fort, bevor Sie 2014 das Land endgültig verlassen mussten. Dass Sie nach Deutschland kamen und hier das „Syrian Center for Legal Studies and Research“ neu gründeten, bereichert unser Land.
Meine Damen und Herren,
Frieden und Versöhnung sind nur dann möglich, wenn Menschenrechtsverletzungen geahndet werden. Wir dürfen uns mit Straffreiheit nicht abfinden. Es ist beklagenswert, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bisher nicht in der Lage war, die Situation in Syrien an den Internationalen Strafgerichtshof zu überweisen.
Zugleich zeigt sich an den vielfältigen Bemühungen zur Aufklärung der geschehenen Taten aber auch: Eine Mehrheit der Staaten ist nicht gewillt, einfach wegzusehen.
Die Einrichtung von Institutionen wie der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für Syrien durch den VN-Menschenrechtsrat, sowie des Internationalen, Unabhängigen Unparteiischen Mechanismus für Syrien IIIM – dessen stellvertretende Leiterin wir heute hier bei uns haben – sind ein wichtiger Schritt hin zu strafrechtlicher Verfolgung, auch wenn diese vorläufig nur auf nationaler Ebene und außerhalb Syriens erfolgen kann.
Die Bundesregierung setzt sich engagiert auf allen Ebenen gegen die Straflosigkeit in Syrien ein. Mit vielen der heute Anwesenden – auch mit Ihnen, Herr al-Bunni – haben wir bereits mehrmals im Auswärtigen Amt diskutiert, wie wir dem Ziel einer juristischen Aufarbeitung näher kommen können.
Dank des Weltrechtsprinzips – verankert in Paragraf 1 des Völkerstrafgesetzbuches – ermittelt in Deutschland der Generalbundesanwalt seit 2011 wegen Kriegsverbrechen in Syrien. Inzwischen hat er gegen den Chef des syrischen Luftwaffengeheimdienstes einen internationalen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erwirkt. Im November verhängten unsere französischen Freunde ebenfalls Haftbefehle gegen ihn und zwei weitere syrische Geheimdienstchefs.
Diese ersten Erfolge verdanken wir der Arbeit syrischer Menschenrechtsverteidiger – wie der von Ihnen, lieber Herr al-Bunni. Als viele vor den Gräueltaten in Syrien kapitulierten, da erstatten Sie gemeinsam mit Ihrem Kollegen Mazen Darwish in Karlsruhe Anzeige. Im Namen von in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrern verlangten Sie die Anklage gegen Vertreter des syrischen Regimes.
Die genannten ersten Erfolge sind Anlass zur Hoffnung. Doch sie sind uns nicht genug. Auch daran erinnern Sie uns, Herr al-Bunni, immer wieder und unermüdlich. Ihre Arbeit lässt eine falsch verstandene Versöhnung in Form von kollektivem Vergessen oder Schweigen nicht zu.
In Zeiten, in denen in Deutschland von einigen Personen ernsthaft behauptet wird, der Krieg in Syrien sei vorbei, erinnert uns Ihre Arbeit an die traurige Realität. Und daran, dass die tief verletzte syrische Gesellschaft ohne Recht, oder zumindest das Bemühen um Gerechtigkeit, keinen Frieden finden wird.
Ihre Arbeit erinnert uns bitter daran, dass die Erklärung der Menschenrechte an ihrem 70. Jahrestag für viele Menschen ein Versprechen bleibt, das es noch einzulösen gilt.
Nicht zuletzt drückt sich in Ihrer Arbeit aber auch die Hoffnung aus, dass es eines Tages eine syrische Republik geben kann, in der die Täter und Befehlsgeber von heute in fairen Verfahren vor syrischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden.
Lassen Sie uns gemeinsam weiter dafür kämpfen, in Syrien Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen. Menschen wie Sie haben die Kraft, Dinge zu bewirken. Die Geschichte Ihres Landes überlassen Sie nicht Anderen – Sie schreiben Sie selbst mit.
Es ist mir eine Ehre, Ihnen den Deutsch-Französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zusammen mit Ihrer Exzellenz Botschafterin Descôtes zu übergeben.