Sehr geehrter Herr Prälat Dr. Dutzmann,
sehr geehrter Herr Prälat Dr. Jüsten,
sehr geehrte Frau Pfarrerin Dr. Pruin,
sehr geehrter Herr Monsignore Spiegel,
sehr geehrte Damen und Herren,
Ich freue mich sehr, das 60-jährige Jubiläum der Zusammenarbeit zwischen den kirchlichen Zentralstellen und dem BMZ gemeinsam mit Ihnen würdigen zu können. Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, bei diesem Anlass zu Ihnen allen sprechen zu dürfen.
Ein Jubiläum wie dieses ist eine gute Gelegenheit, einmal innezuhalten und die Frage zu stellen – wo stehen wir und wohin wollen wir?
2015 wurde die Agenda 2030 verabschiedet und soll, wie der Name sagt, bis 2030 umgesetzt werden. Es ist also Halbzeit. Für nachhaltige Entwicklung weist sie der internationalen Gemeinschaft den Weg in eine gerechte, friedliche Zukunft für alle Menschen – so der Plan.
Was die Welt allerdings gerade erlebt, ist weit davon entfernt und alarmierend: Die Folgen der Corona-Pandemie und der fortschreitende menschengemachte Klimawandel gefährden das Leben von Millionen Menschen und unseren Planeten. Und als wäre dies alles nicht genug, führt nun Russland einen brutalen Angriffskrieg gegen ein Nachbarland der Europäischen Union.
Ein ganzes Krisengeflecht mit weltweiter Reichweite macht Entwicklungsfortschritte der vergangenen Jahre zunichte und trifft Arme und Benachteiligte besonders hart: Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit rund 15 Millionen Menschen direkt und indirekt im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gestorben sind. Im Jahr 2022 werden nach Prognosen der International Labour Organization umgerechnet 52 Millionen Vollzeitarbeitsplätze aufgrund coronabedingter Störungen auf dem Arbeitsmarkt fehlen.
Insbesondere beim Klimawandel rücken Kipppunkte immer näher, wo Grenzwerte überschritten, Folgen unumkehrbar und letztlich die Lebensgrundlagen von Milliarden Menschen bedroht werden.
Diesen Rückschritten muss die Weltgemeinschaft entgegenwirken. Darum ist heute Entwicklungspolitik so wichtig wie nie. Und Entwicklungspolitik braucht mehr denn je engagierte Akteure auf allen Ebenen und in allen Bereichen.
Die beiden großen christlichen Kirchen und ihre Hilfswerke gehören von Anfang an dazu. Uns verbindet dasselbe Ziel: Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern wirkungsvoll zu stärken – um mit dem Titel der heutigen Veranstaltung zu sprechen. Unserem Handeln liegen dieselben Normen und Werte zugrunde: Gerechtigkeit, Solidarität und Respekt.
Seit 60 Jahren sind die Kirchen starke Verbündete und Mitstreiterinnen, um allen Menschen Chancen zu einem selbstbestimmten Leben in Würde in einer intakten Umwelt zu geben. Sie geben Menschen „Hilfe zur Selbsthilfe“ in nahezu allen Bereichen – von der Armuts- und Hungerbekämpfung über die Gleichstellung der Geschlechter und den Klimaschutz bis hin zur Stärkung der Zivilgesellschaft in den Ländern des globalen Südens.
Und nicht nur die Bandbreite der Themen ist beeindruckend. Kirchen sind auch noch dann tätig, wenn dies die politische Situation der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit nicht mehr erlaubt – wie etwa im Tschad oder Süd-Sudan.
Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit schafft Synergien zu Maßnahmen der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, wie wir es zum Beispiel im Kontext der Syrien-Krise und zur Stabilisierung der Nachbarländer erleben. So unterstützt die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit etwa syrische Flüchtlingsgemeinden in Nordjordanien und stärkt die Basisgesundheitsdienste für Bedürftige im Nordirak.
Seit Beginn unserer Kooperation haben die Partner unserer kirchlichen Hilfswerke über 27.000 Projekte in mehr als 100 Ländern zu 100 Prozent eigenverantwortlich konzipiert, durchgeführt sowie aus staatlichen und zum Teil eigenen Mitteln finanziert. Das BMZ hat den kirchlichen Zentralstellen dafür über neun Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Dank breiter Netzwerke arbeiten diese Projekte in den Partnerländern direkt an der Basis. Auf diese Weise leihen die Kirchen armen und benachteiligten Menschen ihr Ohr und geben ihnen eine Stimme – gegenüber der eigenen Regierung, indem sie zum Beispiel unabhängigen Journalismus über lokale Radios unterstützen.
Und sie bringen die Stimme der Benachteiligten unentwegt in die internationale politische Diskussion ein – wie etwa bei der Erlassjahrkampagne für hochverschuldete Länder. Kirchen und ihre Hilfswerke sensibilisieren für globale Herausforderungen, appellieren an die Verantwortung jeder und jedes Einzelnen für nachhaltige Entwicklung und mobilisieren Menschen für nachhaltige Veränderungen. Ich denke da beispielsweise an die Faire-Handel-Initiative der Kirchen, die heute zu guten Arbeitsbedingungen und menschenwürdigen Einkommen der produzierenden Frauen und Männer beiträgt.
Für diesen großartigen Einsatz für Menschen und unseren Planeten danke ich ganz herzlich – Ihnen allen – den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der kirchlichen Zentralstellen und in den kirchlichen Hilfswerken, ihren teils langjährigen Partnern und den vielen engagierten Menschen in den Ländern des globalen Südens!
Zusammen haben wir viele Höhen und Tiefen in der Entwicklungszusammenarbeit durchgestanden, wir haben viel voneinander gelernt und diskutiert. Damit haben wir eine gemeinsame solide Basis für die anstehende Zeitenwende. Eine Zeitenwende, in der die Weichen für eine lebenswerte Zukunft aller Menschen gestellt werden müssen. Eine Zeitenwende, in der niemand zurück gelassen werden darf.
Diesem Anspruch trägt die deutsche Entwicklungspolitik Rechnung. Mit Schwerpunkten, die ich im Folgenden kurz skizzieren möchte.
Eine unserer Prioritäten ist es, zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Folgen beizutragen. Dafür setzt sich die Bundesregierung auch in der deutschen G7-Präsidentschaft ein. Es geht uns als Bundesregierung darum, die Covid-19-Impfkampagne weltweit zum Erfolg zu bringen und die Pandemieprävention und -vorsorge weltweit zu verbessern, Gesundheitssysteme resilienter zu machen, besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern. Denn nur mit starken Gesundheitssystemen kann eine allgemeine Gesundheitsversorgung erreicht werden.
Die reproduktive und Mutter-Kind Gesundheit muss verbessert werden. Wir müssen mehr dafür tun, um armutsbezogene Krankheiten wie HIV, Tuberkulose, Malaria sowie Polio, vernachlässigte Tropenkrankheiten und antimikrobielle Resistenzen stärker zu bekämpfen. Die Partner der kirchlichen Zusammenarbeit sind hier wichtige Akteure: In vielen Ländern können religiöse Führer und Führerinnen zur gesundheitlichen Aufklärung beitragen, denn sie genießen bei den Menschen Vertrauen und finden Gehör. Zudem sind Kirchen oder kirchennahe Institutionen oft Träger von Krankenhäusern oder medizinischen Ausbildungsstätten.
Die Beseitigung von Hunger und Armut bleibt ein zentraler Schwerpunkt der Entwicklungspolitik. Wenn bereits 2020 über 800 Millionen Menschen hungerten und 41 Millionen am Rande einer Hungersnot lebten, dann ist die Hungerkrise jetzt infolge des Krieges gegen die Ukraine für manche Länder, wie Somalia oder den Libanon, existenzbedrohend! Das BMZ wird daher knapp eine halbe Milliarde Euro der jüngsten BMZ-Haushaltsaufstockung für die Bewältigung der globalen Ernährungskrise einsetzen. Zudem hat Bundesministerin Schulze für die Bundesregierung als G7-Präsidentschaft gemeinsam mit Weltbankpräsident Malpass ein Bündnis für globale Ernährungssicherheit ausgerufen, um die drohende globale Hungersnot abzuwenden. Gerade Kirchen und andere zivilgesellschaftliche Kräfte setzen sich sehr wirkungsvoll für ein Leben ohne Hunger und eine Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme ein. Und das schon seit vielen Jahren – ich erinnere beispielsweise an die Hungermärsche 1970 in Deutschland, bei denen zehntausende Menschen eine faire Weltwirtschaftsordnung forderten.
Hunger hat viele Ursachen, die alle mit strukturellen und multilateral abgestimmten Antworten bewältigt und die lokal, national und international umgesetzt werden müssen. Zu den Haupttreibern von Hunger gehören bewaffnete Konflikte und der Klimawandel. Aber auch geringe Produktion und Produktivität der lokalen Landwirtschaft, ungleiche Zugänge zu Ressourcen, hohe Nahrungsmittelverluste, unzulängliche Transport- und Vermarktungsmöglichkeiten sowie ineffektiver und unfairer Agrarhandel schränken die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln ein.
In all unseren Anstrengungen werden wir nur erfolgreich sein, wenn wir die Transformation hin zur Klimaneutralität entschieden vorantreiben und diesen Übergang sozial verträglich gestalten. Gerade für vulnerable Gruppen bietet eine sozial gerechte Transformation – die Just Transition – Chancen für gute Beschäftigung, menschenwürdige Einkommen und Ernährungssicherung.
Darum setzt sich das BMZ ein für CO2-neutrale und faire Lieferketten, für eine nachhaltige Finanzsystementwicklung oder die Ausbildung in grünen Jobs, für eine beschleunigte Digitalisierung, die Lösungen für die Zukunft sozial und ökologisch verträglich bereitstellt. So leisten die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt schon viele Jahre wichtige Beiträge, wenn es darum geht, den Anliegen der Ärmsten und Bedrohten Gehör bei den internationalen Klimaverhandlungen zu verschaffen.
Und damit komme ich zu einem weiteren zentralen Schwerpunkt des BMZ: All die Herausforderungen, die ich genannt habe, betreffen alle – aber nicht alle gleich. Frauen sind in besonderem Maße von Krisen wie den Folgen des Klimawandels, von bewaffneten Konflikten oder der Ernährungskrise betroffen. Darum verfolgt das BMZ konsequent eine feministische Entwicklungspolitik. Das bedeutet, die Lebenswirklichkeit von Frauen und ihre Bedarfe besonders in den Blick zu nehmen.
Frauen und Mädchen sind aber nicht nur Opfer der Krisen. Sie sind vor allem auch change agents, sie können wichtige Veränderungen anstoßen und tragen maßgeblich zu nachhaltigeren und krisenfesteren Volkswirtschaften und Gesellschaften bei. Darum ist es folgerichtig, dieses Potenzial stärker zu nutzen, indem Frauen gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Entscheidungen beteiligt und dafür ihre Rechte, Ressourcen und Repräsentanz gestärkt werden. Genau das fördern die Kirchen derzeit mit ihren 3.000 Projekten in den Partnerländern.
Darum wird das BMZ in Zusammenarbeit mit den Partnerländern, der Zivilgesellschaft und im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen noch stärker verankern. Dabei sind Allianzen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren in Länderkontexten etwa mit wenig demokratie-wertebasiertem Rückhalt oder fragilen staatlichen Strukturen insbesondere von großer Bedeutung. Der Einsatz religiöser Führer und Führerinnen ist dabei unerlässlich, um gesellschaftliches Engagement zu mobilisieren und traditionelle Machtstrukturen aufzubrechen.
Sie sehen: Damit wir diese Schwerpunkte erreichen, brauchen wir die Kirchen und ihre Hilfswerke mehr denn je – als Wissensträger, als Motor für den gesellschaftlichen Diskurs, als Impulsgeber für gemeinschaftliches Handeln, als Mittler zwischen Kulturen und weltweiten religiösen Netzwerken, als global vernetzten zivilgesellschaftlichen Akteur.
Meine Damen und Herren, mit den Erfahrungen und Wirkungen unserer vertrauensvollen Kooperation sind die Kirchen verlässliche Partner und ihr Engagement ein nicht wegzudenkender Teil der deutschen Entwicklungspolitik.
Ich freue mich, mit Ihnen gemeinsam mit noch mehr Einsatz den Weg in eine gerechte, friedliche Zukunft für alle Menschen zu ebnen und zu gehen. Ein erster Schritt ist der Austausch heute mit Ihnen.
Vielen Dank!