Was will Deutschland vom Globalen Süden, was kann es ihm geben, was macht die Konkurrenz? Ein Gespräch über Erwartungsmanagement, Entwicklungszusammenarbeit und wohlverstandenes Eigeninteresse.
IP: Herr Annen, Deutschland sucht nach neuen Partnern im Globalen Süden, um seine Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Was sind die wichtigsten Vorbehalte gegenüber westlichen Staaten wie Deutschland, die Ihnen im Globalen Süden begegnen?
Niels Annen: Es ist schwer, das allgemeingültig zu beantworten, weil unsere Partnerländer in Afrika, in Lateinamerika und in Asien ausgesprochen unterschiedlich sind. Vor allem in der arabischen Welt hat sich infolge des Gazakriegs die Stimmung gegenüber Deutschland sehr verschlechtert. Das wird aber eher von der Zivilgesellschaft artikuliert, nicht unbedingt von den Regierungen. Auffällig sind ein sehr viel stärkeres Selbstbewusstsein als in der Vergangenheit und eine klarere Erwartungshaltung gegenüber Deutschland.
Welche Erwartungen werden da formuliert?
Unsere Partner signalisieren uns, dass sie gerne mit Deutschland, mit Europa zusammenarbeiten möchten, vielleicht sogar exklusiv, dass es aber durchaus Alternativen gibt. Die Attraktivität unseres ökonomischen Modells ist nach wie vor groß, aber es ist nicht mehr „the only game in town“. Unsere Partner sind gut informiert; wenn wir Vorträge über Demokratie oder Rechtsstaatlichkeit halten, aber gleichzeitig mit autoritären Regierungen verhandeln und sprechen müssen, dann weisen die uns genüsslich auf Widersprüche in unserer Argumentation hin. Und: Sie wissen ganz gut, dass es in Europa keine einheitliche Haltung zu bestimmten Fragen gibt.
"Die Forderungen aus dem Süden nach einem Schuldenschnitt müssten eigentlich Richtung China gehen"
Sie haben vor Kurzem gesagt, es sei davon auszugehen, dass noch im Jahr 2030 mehr als 600 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberer, nachhaltiger und verlässlicher Energieversorgung haben werden, die meisten davon in Subsahara-Afrika. Was muss Deutschland tun, um seiner historischen Verantwortung als Teil des Westens gerecht zu werden, was tut es bereits?
Wenn man sich den historischen CO2-Fußabdruck anschaut, dann lässt sich nicht leugnen, dass die westlichen Industrieländer eine besondere Verantwortung für den menschengemachten Klimawandel haben. Und Deutschland reagiert ja auch darauf. Wir könnten den Rest der Zeit, die wir haben, darauf verwenden, über die Programme zu sprechen, die wir mit unseren Partnern auflegen …
Ein, zwei Beispiele würden uns genügen.
Wir haben uns sehr für einen Fonds für Schäden und Verluste engagiert, der auf dem Weltklimagipfel 2023 in Dubai gestartet wurde. Unter der Überschrift „Just Transition“ wollen wir die Erfahrungen aus Deutschland nutzen, die wir beim Wandel hin zur CO2-Neutralität gemacht haben. Es geht darum, die sozialen Verwerfungen, die ein solcher Übergangsprozess für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ja: ganze Regionen mit sich bringt, abzufedern; bei uns betraf das besonders den Kohleabbau. Diese Erfahrung übersetzen wir in Partnerschaften mit anderen großen Gebern und mit wichtigen Emittenten wie Indonesien oder Südafrika.
Andererseits melden sich auch immer wieder bestimmte Länder aus dem Süden zu Wort, die mit dem berechtigten Verweis auf die historische Verantwortung der Industriestaaten die Botschaft verbreiten wollen, wir seien alleine für die Erreichung der Klimaziele verantwortlich. Aber das entspricht nicht der heutigen Realität.
Warum?
Weil Länder wie China, die sich immer noch als Schwellen- und Entwicklungsländer definieren, wesentlich mitverantwortlich für die heutigen Emissionen sind. Wir können es als internationale Gemeinschaft nicht zulassen, dass man sich hinter einem anti- oder postkolonialen Diskurs versteckt, um sich zugunsten des eigenen Wirtschaftswachstums nicht an die Reduktionsziele halten zu müssen. Darüber müssen wir dringend sprechen, neben allen anderen Schwierigkeiten, die wir mit China oder Russland haben.
In Deutschland geht der Diskurs zurzeit in die Richtung, dass wir uns nur noch mit unseren Freunden unterhalten dürfen. Das macht mir Sorge, denn der politische Preis, den wir dafür zahlen müssten, wäre hoch, gerade beim Thema Klima.
Auch in der Schuldenkrise sehen nicht wenige Beobachter im Globalen Süden die Verantwortung beim Westen, etwa in der kreditbasierten Entwicklungshilfe. Könnte der oft geforderte Schuldenschnitt etwas bewirken?
Im Moment relativ wenig, weil sich die Zeiten und die Verhältnisse geändert haben. Als ich jung war, habe ich mit anderen gegen den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank demonstriert und einen Schuldenschnitt gefordert, der dann auch kam. Aber die klassischen Kreditgeber, etwa aus dem Pariser Club, sind heute gar nicht mehr die entscheidenden Gläubiger. Es sind vor allem die Chinesen, aber auch viele große internationale Konzerne, die den Großteil der Kredite vergeben. So sehr ich Sympathien für diesen Diskurs aus dem Globalen Süden hege, auch aus meiner eigenen Biografie heraus: Er verdeckt zuweilen, dass sich etwas verschoben hat. Insofern müssten die Forderungen eigentlich Richtung China gehen.
Reden Sie darüber mit Peking?
Natürlich. Und mit dem „Common Framework“ gibt es auch erste Ergebnisse. Aber der Mechanismus ist noch zu schwerfällig. Wir brauchen konkrete Fortschritte bei den Verhandlungen über einen Schuldenaufschub und gegebenenfalls einen Schuldenerlass. Die Chinesen sind da bisher ausgesprochen zurückhaltend, obwohl ihre Praxis der Kreditvergabe mit zur Schuldenkrise geführt hat. Darin besteht auch eine Chance, unsere eigenen Instrumente nochmal stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Die sind manchmal ein bisschen sperriger, aber dafür sehr viel nachhaltiger.
Wie sieht das konkret aus?
Zum einen vergeben wir nach wie vor Kredite, die an gemeinsam vereinbarte politische und entwicklungspolitische Ziele gebunden sind. Solche Kredite sind attraktiv für viele Staaten, gerade für die Länder mit mittlerem Einkommen, und sie führen eben nicht zu einer vergleichbaren Verschuldungskrise. Gleichwohl haben wir Partner, die Schwierigkeiten haben, ihre Kredite bei uns zu bedienen. Dafür hat die deutsche Entwicklungspolitik mit der Schuldenumwandlung ein innovatives und erfolgreiches Instrument auf den Weg gebracht. Vielleicht könnte dieses Instrument im Kleinen ein Hinweis darauf sein, wie im Großen eine Lösung unter Einbeziehung der Chinesen aussehen könnte.
Der Westen hat auch durch mangelnde Solidarität während der Corona-Pandemie einiges an Vertrauen verspielt. Wie lässt sich das wieder reparieren?
Wir neigen manchmal etwas zur Selbstgeißelung. Ich glaube nicht, dass Deutschland da eine besonders negative Rolle gespielt hat. Jede Regierung hat die Verpflichtung, sich zunächst um die eigene Bevölkerung zu kümmern; das gilt auch für die deutsche Regierung. Die Fehler, die in dieser Zeit gemacht wurden, muss man aus der damaligen Lage heraus bewerten, sie waren zum Teil der Kurzfristigkeit geschuldet und zum Teil mangelnden Informationen. Denken Sie nur an bestimmte Reisebeschränkungen oder an die Reaktionen auf das Aufkommen der Omikron-Variante in Südafrika. Aber wir haben uns sehr früh auch um andere Fragen gekümmert, vor allem in Afrika.
Zum Beispiel?
Wir investieren mit unseren Partnern in die dortigen Gesundheitssysteme und in soziale Sicherungssysteme. Natürlich nicht, indem wir das deutsche Gesundheits- oder Sozialsystem 1:1 in ein Subsahara-Afrika-Land übertragen haben; die Bedingungen sind ganz andere. Aber das, was wir dort tun, basiert auf den Erfahrungen, die wir selbst in der Corona-Pandemie gemacht haben. Wir sind überzeugt, dass eine der Lehren aus Corona lautet, nicht nur Geld in die Pandemiebekämpfung speziell zu stecken, sondern auch in die Resilienz der Gesundheitssysteme insgesamt.
Außerdem haben wir uns bei der Verteilung der Impfstoffe in erheblichem Maße engagiert und mitgeholfen, dass BioNTech jetzt etwa in Ruanda in die Impfstoffproduktion investiert. Und wir kümmern uns im BMZ darum, den sogenannten One-Health-Ansatz international voranzubringen, der auch die Tiergesundheit und damit von Tieren auf Menschen übertragene Krankheiten in den Blick nimmt.
Das ist mir wichtig, denn ich habe den Eindruck, dass Pandemieprävention in der Prioritätenliste vieler Regierungen schon wieder nach hinten gerutscht ist. Meine große Sorge ist, dass wir bei einer möglichen nächsten Pandemie nicht so gut vorbereitet sind, wie wir sein könnten. Wir zumindest haben unsere Arbeit in diesem Bereich nicht eingestellt.
Wie nehmen Sie den Wettlauf um den Globalen Süden wahr? Um welche Ressourcen wird am meisten gerungen?
Lithium etwa spielt da eine große Rolle. Dass Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit mit Bolivien wieder aufgenommen hat, hat mit entwicklungspolitischen Gründen zu tun, aber auch damit, dass vor vier Jahren die damalige bolivianische Regierung entschieden hat, ein Abkommen mit einem deutschen Unternehmen zur Industrialisierung von Lithium zu kündigen. Wir hoffen, da nochmal einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Welche Länder spielen noch eine Rolle?
Wenn Sie sich die Reisen des Bundeskanzlers anschauen, dann ist das eine ganze Reihe von Ländern. In Chile etwa haben wir eine andere politische Konstellation mit einer Regierung, die uns sehr nahesteht. Da geht es darum, dass Deutschland neben langfristigen Lieferverpflichtungen auch Kompetenz für die Wertschöpfung vor Ort mitbringt. Das ist etwas, das viele systemische Rivalen nicht mitbringen wollen oder können. Da sehen wir eine Chance, Deutschlands ökonomischen Interessen gerecht zu werden und gleichzeitig einen Beitrag zu einer nachhaltigeren wirtschaftlichen Entwicklung in den betroffenen Ländern zu leisten.
Das gilt auch für den enorm expandierenden Weltmarkt für grünen Wasserstoff: Wo kann man mit einer Investition in grünen Wasserstoff gleichzeitig vor Ort wirtschaftliche Bedarfe abdecken? Die Entwicklungspolitik ist da im Moment ein bisschen unter Druck, und ich glaube, es ist ein gutes Beispiel dafür, dass unsere Arbeit dort auch im berühmten wohlverstandenen Eigeninteresse Deutschlands ist.
Stichwort „wohlverstandenes Eigeninteresse“: In Deutschland wird, zuletzt in der Haushaltsdebatte, eine paradoxe Diskussion geführt. Einerseits schaut man mit Bewunderung darauf, wie sich ein Land wie China mit den Infrastrukturmaßnahmen der Seidenstraße weltweit ein Netz der wirtschaftlichen Abhängigkeiten schafft. Andererseits werden die berühmten „Radwege in Peru“ als unnötige Geldausgaben kritisiert. Wie erklären Sie sich das?
Das hat nach meinem Empfinden viel damit zu tun, dass wir uns in Deutschland derzeit in einer Phase befinden, die uns, vorsichtig gesprochen, ziemlich herausfordert. Erst kam die Corona-Pandemie, dann hatten wir eine Inflation von fast 10 Prozent, einen Reallohnverlust um die 4 Prozent und viele Krisen, die sich teils überlappen. Dass es in einer solchen Situation politische Kräfte gibt, die versuchen, einfache Punkte zu machen, indem sie behaupten, im Ausland werde Geld rausgeschmissen, das finde ich empörend, aber nicht überraschend. Mein Job ist es nicht, mich zu beklagen, sondern zu erklären, dass das, was wir dort tun, in unserem eigenen Interesse ist.
Die Radwege in Peru, übrigens ein Erbe der Vorgängerregierung, sind nur ein ganz kleiner Teil eines Programms, mit dem wir Schwellenländern helfen, die eigenen Klimaziele zu erreichen. Und es ist zum Teil günstiger, in einem Land wie Peru die Klimaziele zu erreichen, als Reduktion in Deutschland durchzusetzen. In vielen Schwellenländern sind erhebliche Emissionen zuletzt vor allem in den großen Metropolen angefallen, und dieser Trend wird sich fortsetzen. Darum reden wir in vielen Schwellenländern über günstige Kredite für städtische Entwicklung und nachhaltige Mobilitätskonzepte. Ich finde, das ist ein ziemlich gutes Investment in das Überleben unseres Planeten.
China ist Supermacht und stellt sich gleichzeitig als Mitstreiter des Globalen Südens gegen westlichen Imperialismus und Kolonialismus dar. Mittlerweile sind allerdings viele Menschen im Süden von China enttäuscht: weil es sich selbst imperial verhalte, Versprechen nicht einhalte, zu wenig Rücksicht auf Umweltbelange nehme und die Zivilgesellschaften nicht ausreichend einbinde. Auch Russland hat aufgrund des Ukraine-Krieges an Attraktivität als Partner verloren, zumindest teilweise. Wie könnte der Westen in diese Lücken stoßen?
Zunächst einmal gibt es viele Länder, die sich für China als Projektpartner entschieden haben, weil es schlicht keine europäischen Angebote gab. Das gilt gerade für große Infrastrukturinvestitionen in Afrika. Ich habe selbst mit vielen Regierungsvertretern gesprochen, die mir gesagt haben, sie hätten diese Geschäfte viel lieber mit uns gemacht, aber es habe keine Angebote gegeben. Insofern muss die Politik sich fragen lassen: Stellen wir ausreichend Ressourcen zur Verfügung und sind unsere Projekte so gestaltet, dass sie schnell genug implementiert werden können? Da können wir noch nicht zufrieden sein.
Sind denn Fortschritte zu verzeichnen?
Die gibt es, und längst nicht nur auf nationaler Ebene. Die Global Gateway-Initiative etwa, Europas Antwort auf Chinas Seidenstraße, dürfte auch von der neuen EU-Kommission fortgeführt werden; das BMZ beteiligt sich an der Umsetzung. Außerdem hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze zusammen mit der amerikanischen Finanzministerin Janet Yellen den Anstoß gegeben, die Weltbank neu aufzustellen. Wir haben die Ressourcen durch eine etwas höhere Risikobereitschaft und neue Schwerpunktsetzungen deutlich erhöht. Zuletzt hat Bundeskanzler Scholz angekündigt, 305 Millionen Euro an sogenanntem Hybridkapital zur Verfügung zu stellen. Ähnliches gilt für die regionalen Entwicklungsbanken, für deren asiatische und interamerikanische Bank ich auf deutscher Seite verantwortlich zeichne. Und wir führen den Dialog mit der deutschen Industrie über mehr Investitionen in den Globalen Süden.
Was ließe sich von Konkurrenten wie China lernen?
Das chinesische Modell ist keines, das sich zur Nachahmung anbieten würde, weil es hohe ökologische und soziale Kosten verursacht hat. Einige der Kritikpunkte wie die Kreditvergabe habe ich genannt. Aber dass es den Chinesen gelungen ist, Armut im eigenen Land wirklich effektiv zu bekämpfen, müssen wir anerkennen. Natürlich ist China ein Konkurrent und auch, wie wir alle wissen, ein strategischer Rivale. Trotzdem rate ich uns auch immer, mit einem gewissen Grundrespekt zu betrachten, dass China zum Teil in hochkomplexen, fragilen Regionen investiert hat und wir das eben nicht immer getan haben. Dort gibt es Erfolge, und die chinesische Regierung hat auch aus Fehlern gelernt. Wenn wir all das ignorieren, dann erschweren wir uns den Weg zu einer begrenzten, aber wichtigen Kooperation mit China. Nicht nur beim Klima, sondern auch bei den anderen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.
Mit wem sollte Deutschland künftig im Globalen Süden verstärkt zusammenarbeiten und in welchen Bereichen?
Über den grünen Wasserstoff haben wir schon gesprochen. Wir brauchen ihn, wenn wir den Energiewandel erfolgreich bewältigen und dabei Industrieland bleiben wollen. Deswegen sind die Wasserstoffpartnerschaften von größter Bedeutung. Natürlich muss man da auch auf die Wirtschaftlichkeit achten. Nordafrika bietet sich hier aus vielerlei Gründen als Partner an. Der zweite Punkt ist die Klimakrise. Die JETPs, die Just Energy Transition Partnerships oder Partnerschaften für eine gerechte Energiewende, sind aus meiner Sicht ein Schlüsselinstrument. Wir unterlegen diese Partnerschaften finanziell, es geht aber auch um Beratung, um Know-how, um einen gemeinsamen Weg.
Auch beim Thema Fachkräftemangel in Deutschland kann die Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag leisten. Viele unserer Partnerländer haben eine sehr junge Bevölkerung und müssen jedes Jahr Hunderttausende von Arbeits- und Ausbildungsplätzen generieren. Arbeitsmigration ist für unsere Partner daher eine attraktive Option. Wir haben in Schlüsselländern Agenturen für Wirtschaft und Entwicklung auf den Weg gebracht, wobei wir aber auch zur Kenntnis nehmen, dass Migration nicht nur eine Richtung hat, sondern ein zirkuläres Phänomen ist.
Es geht auch um Rückkehrer?
Genau, weil sie mit ihren Erfahrungen einen Beitrag zur Entwicklung ihres eigenen Landes leisten können. Und in bestimmten Regionen hat das Thema Fachkräftezuwanderung auch einen geopolitischen Aspekt, etwa in Zentralasien. Wenn der Bundeskanzler Usbekistan oder Kasachstan bereist, dann trifft er auf Vertreter von Ländern, die Hunderttausende von Arbeiterinnen und vor allem Arbeiter haben, die in Russland leben, die Geld nach Hause schicken und die dadurch die Abhängigkeit von Russland erhöhen. Wenn wir zu einem relevanten Austausch mit Fachkräften mit diesen Ländern kommen, beendet das nicht die Abhängigkeit, aber es verschafft den Ländern etwas mehr Luft zum Atmen.
Deutschland ist in den Wettbewerb um Ressourcen relativ spät eingestiegen. Zu spät? Ihre Kollegin Franziska Brantner vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat dazu gesagt: „Wir liefern uns ein Wettrennen, wir müssen aufpassen, es nicht zu verlieren.“ Was macht Sie optimistisch, dass Deutschland langfristig im Wettbewerb um Partnerschaften mit dem Globalen Süden bestehen kann?
Ich bin da sehr optimistisch. Mit Franziska Brantner arbeite ich eng zusammen, unsere Ministerien stimmen sich untereinander ab. Wir haben neben der Entwicklungszusammenarbeit mit Bolivien auch die mit der Mongolei wieder aufgenommen. Diese Rohstoffpartnerschaft, die Merkel damals abgeschlossen hat, war richtig. Sie ist aber nie so richtig mit Leben erfüllt worden. Da haben wir eine neue Dynamik reingebracht. Es ist die Tragik der aktuellen Regierung, dass zum Teil ganz grundlegende Weichenstellungen durch anderes überschattet werden, auch durch unsere eigenen Streitigkeiten in der Öffentlichkeit. Ich bin aber auch deswegen zuversichtlich, weil ich glaube, dass Olaf Scholz intuitiv erkannt hat, wie sich die Weltlage verändert. Wir stärken unsere traditionellen Bündnisse, vor allem das mit den USA. Aber wenn Sie sich anschauen, mit wem der Bundeskanzler in den vergangenen Jahren gesprochen hat, wen er eingeladen hat, wohin er gereist ist, dann ist das keine zufällige Auswahl. Deutschland pflegt die Partnerschaften mit den relevanten Playern, und das BMZ unterstützt das. Ob das Narendra Modi ist, Lula da Silva oder Cyril Ramaphosa, die Chinesen und andere schwierige Partner, aber auch kleinere Länder gerade aus dem Globalen Süden.
„Ich sehe es mit Sorge, wenn Gespräche mit schwierigen Partnern als ‚Verrat‘ an einer werteorientierten Politik gelten“
Was uns zur alten Debatte Werte versus Interessen führt ...
Ich sehe es mit einiger Sorge, wenn Gespräche mit schwierigen Partnern – ob sie jetzt von der Außenministerin geführt werden, vom Bundeskanzler oder von meiner Ministerin – nicht als kluge Diplomatie im Interesse Deutschlands betrachtet werden. Sondern als „Verrat“ an Deutschlands Werten oder einer wie auch immer gestalteten werteorientierten Politik. Ich glaube, das verkennt die neuen Realitäten, unter denen wir arbeiten müssen.
Wir nutzen in der Entwicklungspolitik die technische Gesprächsebene, um auch mit ganz vielen schwierigen Partnern über internationale Fragen zu reden. Und die Verlässlichkeit, die wir über viele Jahre garantieren konnten, die hilft uns.
Wir kümmern uns auch darum, Themen wie unser koloniales Erbe zu bearbeiten. Deutschland wird in der Regel nicht als ehemalige Kolonialmacht wahrgenommen, obwohl wir es ja durchaus sind. Unser Land hat sich viel Respekt in der Welt erarbeitet, auch durch seine Entwicklungszusammenarbeit. Mit der von vielen als einseitig wahrgenommenen Position im Gazakrieg ist darauf in einigen Bereichen ein Schatten gefallen; und damit müssen wir uns auseinandersetzen. Ich glaube aber, dass wir weiterhin eine so starke Substanz haben, dass wir diese Soft Power nutzen können, um unsere eigenen Interessen zu vertreten – und einen Beitrag dazu zu leisten, dass das internationale System nicht auseinanderbricht.
Deswegen sind die aktuellen Kürzungen sehr schmerzhaft. Wir kommen noch gerade so zurecht. Aber ich glaube, langfristig wäre Deutschland nicht gut beraten, in der Außen- und Entwicklungspolitik weiter zu kürzen. Warum? Ein Beispiel. In den Ländern der Sahelzone sind wir seit den 1960er Jahren, in guten wie in schlechten Zeiten. Die Menschen wissen, wir laufen da nicht weg. Wir sind da. Wir bleiben. Und das führt dazu, dass man uns zuhört.
Wenn wir das nicht mehr tun können, dann kann ich Ihnen verraten, wer sich darüber freut: diejenigen, die sehr genaue Vorstellungen davon haben, wie sie sich dort weiter politisch und militärisch ausbreiten können. Ich glaube, das wollen wir am Ende alle nicht.
Das Interview führte die IP-Redaktion.
Politische Gespräche in einem kriegs- und krisengebeutelten Land